Da der Konsum von Cannabis oft mit entspannenden Effekten assoziiert wird, wächst das Interesse an seiner potenziellen positiven Wirkung auf spezifische ADHS-Symptome wie Unruhe und Impulsivität. Menschen mit ADHS greifen im Zuge einer “Selbsttherapie” gelegentlich auf Cannabisprodukte zurück. Hintergrund ist dabei die Annahme, dass Cannabis dabei hilft, Ablenkungen zu minimieren, die Konzentration zu fördern und sowohl Ängste als auch Nebenwirkungen von ADHS-Medikamenten zu lindern.
Obwohl dies es für manche Betroffene eine hilfreiche Unterstützung sein könnte, wird auf der anderen Seite von Cannabisprodukten als primäre Behandlungsoption gewarnt. da bisherige Studien widersprüchliche Ergebnisse zur Wirksamkeit liefern. Zudem ist die Forschungslage insgesamt noch unzureichend, und es bedarf weiterer klinischer Untersuchungen, um verlässliche Aussagen treffen zu können. Dennoch lassen sich aus den bisherigen Erkenntnissen bereits einige Schlussfolgerungen ziehen.
Was ist ADHS
ADHS, oder Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, ist eine weit verbreitete neurobehaviorale Störung, die durch ausgeprägte Hyperaktivität und Impulsivität gekennzeichnet ist. Während viele Menschen Veränderungen in ihrer Energie und Konzentration erleben, sind diese Symptome bei Menschen mit ADHS besonders intensiv und können das tägliche Leben sowie schulische oder berufliche Leistungen erheblich beeinträchtigen.
ADHS wird häufig schon im Kindesalter diagnostiziert, bleibt jedoch oft bis ins Erwachsenenalter bestehen¹. Diese Störung gehört zur Neurodiversität und reflektiert Unterschiede in der Gehirnfunktion. In einer Gesellschaft, die überwiegend auf neurotypisches Verhalten ausgerichtet ist, führt dies oft zu Herausforderungen, da die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit ADHS nicht immer ausreichend berücksichtigt werden.
ADHS-Symptome
Um zu verstehen, wie Cannabis und ADHS möglicherweise zusammenwirken, ist es wichtig, die unterschiedlichen Erscheinungsformen von ADHS genauer zu betrachten. ADHS wird in drei verschiedene Subtypen unterteilt, die durch unterschiedliche Symptommuster gekennzeichnet sind.
Laut dem DSM-5, einem Klassifikationssystem für psychische Störungen, lassen sich ADHS-Symptome in drei Hauptformen einteilen²:
Vorwiegend unaufmerksam: Dieser Typ zeichnet sich durch Schwierigkeiten bei der Fokussierung und Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit aus. Zu den Symptomen gehören: Ablenkbarkeit durch äußere Reize wie Geräusche und visuelle Eindrücke, chronische Langeweile, Vergesslichkeit, Probleme bei der Organisation von Aufgaben, Schwierigkeiten, bei einer Aufgabe zu bleiben, sowie das häufige Verlieren von Gegenständen.
Vorwiegend hyperaktiv-impulsiv: Dieser Typ ist durch impulsives und hyperaktives Verhalten geprägt. Symptome umfassen: ständige Ruhelosigkeit, lautes und störendes Verhalten, übermäßiges Reden, Schwierigkeiten, still zu sitzen, und das Gefühl, ständig in Bewegung zu sein.
Kombinationstyp (ADHS-C): Dieser Typ wird diagnostiziert, wenn sowohl Symptome von Unaufmerksamkeit als auch von Hyperaktivität und Impulsivität gleichzeitig vorliegen.
Die unterschiedlichen Erscheinungsformen von ADHS zeigen, wie vielseitig diese Störung auftreten kann und wie stark sie den Alltag von Betroffenen beeinflusst. Menschen mit ADHS sehen sich nicht nur mit Schwierigkeiten bei der Konzentration und Impulskontrolle konfrontiert, sondern auch mit den Herausforderungen, die diese Symptome in sozialen, schulischen und beruflichen Kontexten mit sich bringen. Ein tiefgehendes Verständnis der verschiedenen ADHS-Subtypen ist daher essenziell, um eine individuell angepasste Therapie zu finden, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Symptome der Betroffenen eingeht.
Behandlungsformen von ADHS
Die Behandlung von ADHS erfolgt in der Regel durch eine Kombination aus Medikamenten, Verhaltenstherapie und Lebensstiländerungen. Die am häufigsten verschriebenen Medikamente sind sogenannte Stimulanzien wie Methylphenidat (z.B. Ritalin®) und Amphetaminpräperate (z.B. Adderall®), die die Aktivität bestimmter Neurotransmitter im Gehirn erhöhen, was die Konzentration und Aufmerksamkeit verbessert.

Neben Stimulanzien werden auch nicht-stimulierende Medikamente wie Atomoxetin und Antidepressiva eingesetzt, um ähnliche Effekte zu erzielen. Begleitend zu medikamentösen Therapien spielen Verhaltenstherapien eine wichtige Rolle, da sie Menschen mit ADHS helfen, Bewältigungsstrategien zu entwickeln und ihre Impulskontrolle zu verbessern. Lebensstiländerungen, wie eine gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und Stressbewältigungstechniken, können ebenfalls eine positive Wirkung auf die ADHS-Symptome haben. Diese etablierten Behandlungsansätze haben sich für viele Betroffene als effektiv erwiesen und bilden den Standard in der ADHS-Therapie. Dennoch gibt es einen wachsenden Diskurs über alternative Behandlungsmöglichkeiten, darunter auch der Einsatz von Cannabis.
Wie könnte Cannabis bei ADHS-Symptomen helfen?
Um zu verstehen, wie Cannabis möglicherweise zur Linderung von ADHS-Symptomen beitragen könnte, ist es wichtig, die beiden Hauptbestandteile von Cannabis zu kennen:
1. Tetrahydrocannabinol (THC): THC ist die psychoaktive Substanz, die für das bekannte „High“ verantwortlich ist. Es wirkt, indem es sich an die Cannabinoidrezeptoren im Körper bindet, die im Gehirn und Nervensystem verteilt sind.
2. Cannabidiol (CBD) CBD ist ein nicht-psychoaktiver Bestandteil von Cannabis und Hanf, der auf andere Bereiche des Gehirns einwirkt und dafür bekannt ist, die Effekte von THC abzumildern. Da CBD kein „High“ verursacht, besteht kein Suchtpotenzial, was zu seiner wachsenden Beliebtheit beigetragen hat.
Cannabis, insbesondere die kurz beschriebenen Cannabinoide THC und CBD, interagiert mit dem körpereigenen Endocannabinoid-System, das eine zentrale Rolle bei der Regulierung von Stimmung, Verhalten und Aufmerksamkeit spielt. Diese Wechselwirkungen könnten dabei helfen, Hyperaktivität zu reduzieren, die Konzentration zu steigern und die Impulskontrolle zu verbessern, wodurch einige der Hauptsymptome von ADHS möglicherweise gelindert werden.
Studien deuten darauf hin, dass Cannabis eine potenziell vielversprechende Behandlungsoption für ADHS sein könnte, da es bei bestimmten Symptomen positive Effekte zeigt. Dennoch ist die Forschung auf diesem Gebiet noch nicht eindeutig abgeschlossen, und die Wirksamkeit kann von Person zu Person sehr unterschiedlich ausfallen.³ ⁴
Trotz einiger Studienergebnisse mangelt es jedoch an ausreichender klinischer Evidenz, um die Behauptung, Cannabis hilft bei ADHS, zu stützen. Zudem kam eine systematische Überprüfung von über 80 Studien im Jahr 2019 zu dem Schluss, dass die Beweislage für die Wirksamkeit von Cannabis bei der Behandlung psychischer Störungen, einschließlich ADHS, unzureichend ist⁵.
ADHS und Cannabis: Risiken und der Bedarf an ärztlicher Begleitung
Die gleichzeitige Einnahme von ADHS-Medikamenten und Cannabis ist ein komplexes Thema, das sorgfältig abgewogen werden muss. Auch wenn eine Selbstmedikation in Betracht gezogen wird, ist es entscheidend ärztlichen Rat einzuholen, da die Kombination von Cannabis mit verschreibungspflichtigen Medikamenten unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen kann. Zudem wird dringend davon abgeraten, ADHS-Medikamente durch Cannabis zu ersetzen, da die Forschung zu den Langzeitwirkungen von Cannabis auf ADHS noch unzureichend ist.
Die Verwendung von Cannabis zur Behandlung von ADHS-Symptomen birgt zusammengefasst verschiedene Risiken. Zwar kann das THC in Cannabis durch die Aktivierung des Belohnungssystems des Gehirns kurzfristig eine angenehme Wirkung entfalten, da es die Ausschüttung von Dopamin verstärkt – einem Neurotransmitter, der bei Menschen mit ADHS oft in niedrigen Mengen vorkommt. Diese kurzfristige Erleichterung könnte jedoch täuschen, da der regelmäßige Konsum von Cannabis das Risiko einer Abhängigkeit erhöhen kann. Langfristig kann dies nicht nur das ursprüngliche Problem verschärfen, sondern auch zu weiteren gesundheitlichen und psychischen Problemen führen.
Wenn der Einsatz von Cannabis in Erwägung gezogen wird, sollte dies stets unter ärztlicher Aufsicht geschehen, um mögliche Risiken zu minimieren und eine sichere und wirksame Behandlung zu gewährleisten. Ein erfahrener Arzt oder eine erfahrene Ärztin kann dabei helfen, den besten Behandlungsplan zu finden, der sowohl die Vorteile als auch die potenziellen Risiken des Cannabiskonsums berücksichtigt.
Fazit: Potenziale und Vorsicht bei der Verwendung von Cannabis zur ADHS-Behandlung
Cannabis könnte für einige Menschen mit ADHS kurzfristig lindernde Effekte haben, insbesondere bei Symptomen wie Unruhe und Impulsivität. Es gibt Hinweise darauf, dass die im Cannabis enthaltenen Cannabinoide, wie THC und CBD, das Endocannabinoid-System beeinflussen, was potenziell positive Effekte auf die Konzentration und Impulskontrolle haben könnte. Dennoch sollte beachtet werden, dass die wissenschaftliche Grundlage zur Wirksamkeit von Cannabis bei ADHS-Symptomen noch nicht abschließend geklärt ist. Daher ist es ratsam, Cannabis nur in enger Abstimmung mit einem Arzt oder einer Ärztin als Teil eines umfassenden Behandlungsplans zu erwägen, um die Vorteile und potenziellen Risiken sorgfältig abzuwägen.
Quellenangaben
- gesundheitsinformation.de “Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)” https://www.gesundheitsinformation.de/aufmerksamkeitsdefizit-und-hyperaktivitaetsstoerung-adhs.html (Zugriff am 29. August 2024)
- Remschmidt, Helmut et al. (2020) “Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie” https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/lookinside/10.1055/b-0039-173621# (Zugriff am 01. September 2024)
- Mitchell JT et al. (2016) “I Use Weed for My ADHD”: A Qualitative Analysis of Online Forum Discussions on Cannabis Use and ADHD” https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4882033/ (Zugriff am 11. September 2024)
- Cooper RE et al. (2017) “Cannabinoids in attention-deficit/hyperactivity disorder: A randomised-controlled trial.” https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28576350/ (Zugriff am 25. August 2024)
- Black, Nicola et al. (2019) “Cannabinoids for the treatment of mental disorders and symptoms of mental disorders: a systematic review and meta-analysis” The Lancet Psychiatry, Volume 6, Issue 12, 995 – 1010 https://www.thelancet.com/journals/lanpsy/article/PIIS2215-0366(19)30401-8/abstract (Zugriff am 02. September 2024)